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Reinhold Gall im Abschiedsinterview: "Was mir Sorgen macht, ist die Einsatzbelastung der Feuerwehrleute"

15 Jahre lang war der Obersulmer Reinhold Gall Vorsitzender des Kreisfeuerwehrverbands Heilbronn. Er blickt zurück und macht sich Gedanken über die Zukunftsfähigkeit.

Weitere Kindergruppen und eine Jugendarbeit auf „Vollgas“, das lässt Reinhold Galls Herz höher schlagen. Der Vorsitzende des Kreisfeuerwehrverbands Heilbronn blickt zum Ende seiner 15-jährigen Amtszeit auf das Erreichte zurück. Der 67-Jährige sorgt sich aber, wenn er an die Zukunftsfähigkeit der Freiwilligen Feuerwehren in Stadt- und Landkreis Heilbronn denkt. Das wird ein Thema für seinen Nachfolger sein.

Herr Gall, was hat das Amt Ihnen bedeutet?

Gall: Viel. Ich wollte dieses Amt machen, weil ich weiß, wie wichtig Verbandsarbeit gerade bei den Feuerwehren ist, die Rahmenbedingungen so auszugestalten, dass unsere Leute gut arbeiten können.

Wie groß ist der Einfluss des Verbands?

Gall: Die Feuerwehrverbände sind wichtig. Alles, was wir heute als normal betrachten, musste erkämpft oder zumindest angemahnt werden. Wir können tolle Erfolge vorweisen: In keinem anderen Bundesland ist die rechtliche Absicherung von Feuerwehrleuten bei Unfall, Berufsunfähigkeit oder Tod so gut wie in Baden-Württemberg. Auch bei der Aufwandsentschädigung sind in Stadt- und Landkreis große Fortschritte gemacht worden.

Kam Ihnen zugute, dass Sie als Kommunalpolitiker, Landtagsabgeordneter und Innenminister eine Stimme hatten?

Gall: Zweifelsohne. Deshalb konnte der Verband auf Augenhöhe mit Landräten, Oberbürgermeistern und Bürgermeistern sprechen. Wir sind ein ernstgenommener Gesprächspartner.

Frauen in der Feuerwehr sind immer noch in der Minderheit, in Führungspositionen eine Rarität. Wie kann man die männerdominierten Strukturen aufbrechen?

Gall: Wenn ich das wüsste. Von Männerdomäne zu sprechen, das mag ich nicht. Das vermittelt immer den Eindruck, dass wir nicht wollen, dass Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund kommen. Wir haben Seminarangebote gemacht für Führungskräfte für den Umgang mit anderen Kulturen, um unsere Leute zu bewegen, bestimmte Dinge zu ändern.

Migranten zu gewinnen, gelingt aber auch nicht.

Gall: Es gilt immer noch, alle sind willkommen. Aber ich drehe den Spieß um. Ich mache eine Bringschuld draus. Wenn Feuerwehren für die Sicherheit aller Bürger zuständig sind, habe ich die Erwartungshaltung, dass sich alle Bevölkerungsgruppen angesprochen fühlen. Die Zahl der Frauen steigt, und auch die der Gruppen- und Zugführerinnen.

Wie sehr macht sich der demografische Wandel schon bemerkbar?

Gall: Bisher gar nicht.

Muss man auch in der Region befürchten, dass die Feuerwehr mancherorts künftig nur auf dem Papier steht?

Gall: Diese Befürchtung habe ich nicht. Aber mich treibt schon die Sorge um, ob dieses System in zehn oder 20 Jahren noch funktioniert. Wie organisieren wir uns? Welche Belastungen muten wir dem Einzelnen noch zu? Wenn sich die Arbeitswelt, die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und das Familienbild verändern, dann kann das nicht spurlos am Feuerwehrdienst vorbeigehen. Ich erwarte von uns selbst, dass wir uns das eingestehen. Ich möchte einen Diskussionsprozess, ob dieses Modell noch zukunftsfähig ist.

Was ist die Lösung?

Gall: Wir brauchen mehr Mitglieder, um die Arbeit auf mehrere Schultern zu verteilen. Was mir Sorge macht, ist die Einsatzbelastung. Muss jede Feuerwehr zukünftig alle Szenarien beherrschen? Muss jeder Feuerwehrmann, jede -frau jeden Tag zur Verfügung stehen?

Die Pandemie hat für eine Delle bei den Kinder- und Jugendfeuerwehren gesorgt. Ist die Nachwuchsarbeit wieder auf dem Vormarsch?

Gall: Da geht mir das Herz auf. Diejenigen, die für die Jugendarbeit zuständig sind, haben die Einschränkungen durch Corona wettgemacht. Sie sind mit Vollgas unterwegs. Wir haben steigende Zahlen. Wenn ich mit etwas vollauf zufrieden bin, dann mit der Arbeit der Jugendfeuerwehren.

Sind die Einsatzkräfte den immer anspruchsvolleren technischen Hilfeleistungen, etwa bei schweren Unfällen auf der Autobahn, noch gewachsen?

Gall: Ja, das können wir. Die Feuerwehr hat sich immer dadurch ausgezeichnet, Veränderungen im Einsatzspektrum gerecht zu werden, das gilt auch für neue Baustoffe und Bauweisen wie Photovoltaik und E-Mobilität.

Der Klimawandel mit Starkregen und Flächenbränden ist auch für die Feuerwehren ein Thema. Ist die Fachgruppe Vegetationsbrand bei der Feuerwehr Ellbachtal ein Tropfen auf den brennenden Wald?

Gall: Nein. Für die Art von Waldbränden, die bei uns angenommen werden kann, sind unsere Wehren gut aufgestellt. Große Katastrophenlagen, Energiemangellage oder ausreichende Wasserversorgung können nicht nur Aufgaben der Feuerwehren sein.

Sie haben es einmal drastisch ausgedrückt: Kotzen Sie Gaffer immer noch an?

Gall: Es ist so. Ich finde es in höchstem Maße unanständig, und es ist für mich befremdlich und widert mich an, wenn Menschen Kinder auf ihre Schultern nehmen, um über Absperrungen blicken zu können. Das gehört bestraft, so hart, wie es irgend geht.

Einsatzkräfte werden angepöbelt, beschimpft und bedroht, sogar angegriffen und verletzt. Ist diese beklagenswerte Entwicklung auch schon in der Region angelangt?

Gall: Rettungsdienste und Notfallaufnahmen sind in wesentlich höherem Maße betroffen als Feuerwehren. Manchmal ist das der Augenblickssituation geschuldet, in der Einzelne damit nicht umgehen können, wenn wir in ihre Grundrechte eingreifen, zum Beispiel ihre Wohnung betreten und dabei die Tür oder ein Fenster beschädigen müssen.

Sie sind 49 Jahre Feuerwehrmann. Sie haben einen Großteil ihrer Freizeit dafür geopfert. War es das wert?

Gall: Wenn jemand bei der Feuerwehr Fuß gefasst hat, bleibt er meist sein Leben lang dabei. Es werden Werte gelebt wie Kameradschaft. Wertschätzung, Respekt und Toleranz. Das sind gute Leitplanken im Leben. Eine dienende Funktion zu haben, Menschen zu helfen, ist eine vornehme Aufgabe.

Zur Person: Reinhold Gall ist 67 Jahre alt, verheiratet und hat zwei Söhne. Mit 18 Jahren trat er in die Feuerwehr-Abteilung Obersulm-Sülzbach ein. Bis heute unterstützt er die Feuerwehr bei größeren Einsätzen im Führungsbereich. Seit 2009 war er Vorsitzender des Kreisfeuerwehrverbands, 30 Jahre als Ausbilder für den Landkreis Heilbronn. Von 2011 bis 2016 war Gall SPD-Innenminister im Land. Im Landtag saß er von 2001 bis 2021. Von 1984 bis 2011 gehörte Gall dem Gemeinderat Obersulm an, von 1989 bis 2011 war er Sülzbacher Ortsvorsteher. Seit 1994 ist Gall im Kreistag Heilbronn.

Quelle : von Sabine Friedrich, HSt 


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